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beteiligte Künstler:
Littmann Klaus (GE)
Das Projekt
“Diese Ausstellung ist genau die Sprache, in der ich vor allem die einheimischen Besucher und Besucherinnen auffordern möchte, die Umwelt in der sie leben, neu zu sehen, zu riechen. Farben und Düfte sind Medien für eine Alltagskultur, die uns begeistert, die für die Einheimischen aber oft von sozialen und ökonomischen Problemen überdeckt wird.” Susanna Biedermann
FARBEN UND DÜFTE
Marrakesch – der Name klang in meinen Ohren stets wie ein geheimnisvolles, undefinierbares Versprechen, nach Jasmin und Orangenblüten duftend, von samten nachtblauer Farbe. Es ist wirklich der Duft von Orangenblüten, der uns beim Verlassen des Flughafengebäudes empfängt, die Stadt allerdings begrüsst ihre Besucher in Rottönen wie von hell- bis dunkelrot gebrannten Lehmziegeln. In der ummauerten, verwinkelten Altstadt das immer wieder von Staus unterbrochene rhythmische Bewegungen der Menschen, das laute "Balek-balek“ der Eselstreiber, das fordernde "attention, attention“ der Velofahrer, das durchdringende Hupen der Autos. Es riecht nach Abgasen, Exkrementen, verbrannten Fellen, frisch Gebackenem.
Eine der Strassen mitten in der Medina hat den Namen Rue Toualat Zaouiat Lahdar, das Haus Nummer 9 heisst "Dar Bellarj“, Storchenhaus. Ein Schild weist darauf hin, dass hier die "Fondation pour la culture au Maroc“ domiziliert ist. Kaum hat man den ersten Schritt ins Innere getan, ist die Luft kühler, dringt der Strassenlärm nur noch noch gedämpft ans Ohr. "Changement d’éxposition“ steht auf einem Schild, darunter "Entrée gratuite“. Ein weiterer Schritt, und man steht in einem quadratischen symmetrischen beherrschten Innenhof, der von einem Säulengang umrahmt ist. Weiss dominiert, Mosaike aus farbigen Keramikplättchen und grau nachgezeichnete geometrische Ornamente setzen gleichermassen zurückhaltende wie eigenwillige Akzente. Rund um den Innenhof, in dessen Mitte ein Brunnen plätschert, gruppieren sich vier Räume, der Salon de thé und drei Ausstellungsräume. Letztere sind leer, wie Papier, das darauf wartet, beschrieben, bemalt zu werden.
Ein Haus wie dieses beschreibt die marokkanische Soziologin und Schriftstellerin Fatima Mernissi in ihrem Buch "Der Harem in uns“. Doch dieses Stadtpalais ist, wie Susanna Biedermann erzählt, nie für eine Grossfamilie erbaut erbaut worden, sondern als Repräsentationshaus. Der Name "Dar Bellarj“ erinnert an noch weiter zurückliegende Zeiten. Ein Funduq (Werkhof) habe hier gestanden, in dem verschiedene Metiers ausgeübt wurden und wo kranke und verletzte Vögel, darunter auch Störche, verarztet und gepflegt wurden.
Ein anderes Sehen
In einem der Ausstellungsräume sind recht flache blecherne Becken, es sind genau 108, eng aneinander liegend ausgelegt worden. Klaus Littmann füllt eines nach dem anderen mit Wasser, greift zu den kleinen Farbenflaschen, färbt das Wasser ein. Grün, rot, orange, rosa, blau. Das "Dar Bellarj“ steht den Besuchern offen, und sie stellen immer wieder die eine Frage: "Entsteht hier ein Kunstwerk?“ Littmann winkt jeweils ab. Er habe nicht den Anspruch, Kunst zu schaffen. "Was ich will: Ich will die Sehgewohnheiten irritieren. Ich schaffe ein Konzentrat dessen, was hier den Alltag prägt, und das Betrachten dieser Interventionen – man könnte es auch Essenz nennen – löst wiederum im Alltag ein anderes Sehen, andere Assoziationen aus“.
Farben – die Souks von Marrakesch sind voll davon. Es hat Farben darunter, die alles andere als zurückhaltend sind, schreiend gelb, knallrot, giftgrün, tintenblau, von eitlem Orange, lautem Rosa. Das Licht verhilft Blech zum Glanz von Silber, Messing gleisst wie Gold. Zum Trocknen aufgehängte Tücher wirken wie ein Bild von Mondrian. Würden die Farben klingen, ganze Symphonien wären zu hören, dazu als Rezital das stete Werben der Händler: "Venez voir, Madame. Entrez. Tout est bon marché“.
Die Souks als Vorlage also, Inspiration? Littmann setzt sein Werk in Bezug mit „Lumen“ anlässlich der Eröffnung der neuen Halle der Messe Basel vor einem Jahr. "Ich mache hier, was ich auch dort machte: Ich nehme eine bestehende Situation auf. In der Messehalle war es die Dimension, und sie sollte wahrgenommen werden. Gegeben waren die elektrischen Installationen und Schaltkreise, die ich in Bewegung und Ton umsetze.“ Er erinnert an andere Interventionen, den "neuen Supermarkt“ zum Beispiel, den er 1990 zusammen mit Guillaume Bijl realisierte, oder 1996 zusammen mit César "Un mois de lecture des Bâlois“. Sie waren jeweils eine von verschiedenen möglichen Formen, Alltagskultur auf eine andere, ungewohnte Weise wahrzunehmen und zu erleben.
Im zweiten Ausstellungsraum wird eine Bar für 29 Düfte eingerichtet, in Säckchen und Bündeln werden Pflanzen angeliefert. Der Innenhof des "Dar Bellarj“ ist in himmlische Düfte gehüllt.
Seit Menschengedenken sind sie Teil der Alltagskultur, Düfte, die samten, süss, herb, würzig, blumig, erdig, belebend, euphorisierend, inspirierend, entspannend, erfrischend, betörend, zärtlich, penetrant sein können. Es gibt Parfums, die könnte ich trinken, andere gleich wegschütten. Es gibt Wohlgerüche, die wohl eher auf die Verbindung mit himmlischen Mächten zielen denn auf jene zum anderen Geschlecht. Wie Farben können Düfte eine sehr starke assoziative Wirkung haben und alle Sinne involvieren, ja allein schon der Gedanke daran. Man denke nur an eine Zitrone zum Beispiel, eine Olive, an einen Lindenblütenbaum, an Pfefferminze oder eine Jasminblüte.
Über 500 Planzen, deren Wurzeln, Stiele, Blätter, Knospen, Blüten, Früchte für kosmetische, kulinarische, und heilende Zwecke konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Besucherin. Daneben Ingredienzen, die für angeblich magische Zwecke gebraucht werden können: Schlangenhäute, Fischknochen, kleine Fetzen von Fuchsfällen. Die "Pharmacie du paradis“ im Souk von Marrakesch ist bestens eingerichtet für wissensdurstige Touristen. In geräumigen Zimmern werden sie fachkundig eingeführt in die Welt der Pflanzen, die "weise sind“. Sie sprächen all unsere Sinne an; wir könnten sie sehen, berühren, riechen, schmecken. Je respektvoller wir sie also behandelten, desto nützlicher seien sie für uns. Abchalil, einer der Pflanzenkundigen, öffnet Glas um Glas, entlässt für einen kurzen Moment die Geister von Lavendel, Amber, Sandelholz, Kümmel, Rosenknospen, Rosmarin, Thymian, Zitronelle, Origano, Vanille, Zedern, Thuja, Kardamom, Zimt, Safran. Jeder Duft evoziert andere Assoziationen, an Orte, Ereignisse, Menschen. Weihrauch schliesslich, kostbar, mit Riten verbunden, von dem Montaigne in seinem Essay "Über die Gerüche“ schrieb, dass er “uns zur Kontemplation um so viel fähiger” mache.
Wirkung und Bedeutung
Blutrote Rosen werden dem Brunnen in der Mitte des Hofes anvertraut; die Säcke mit Pflanzen ausgelegt. Ein Berberteppich dient Littmann diesmal als Inspiration. Er sieht die Landschaft Marokkos darin, die eher zurückhaltenden Erdfarben. In tagelanger Arbeit entsteht ein Pflanzenteppich, der vor allem bei den Einheimischen weit mehr als die Farbbecken genau das bewirkt, was Littmann bezweckt: Irritation, Staunen, ein Reflektieren darüber, wie sie ihre Landschaften wahrnehmen. Bei den Farbbecken hat Littmann Schwarz als rhythmisierendes Element eingesetzt, beim Pflanzenteppich die roten Rosen. Der Teppich ist die Symbiose von Duft und Farbe, erlebbar, wenn auch anders eben, wie eine Fahrt durch eine der Landschaften Marokkos.
Letzter Akt. Duftessenzen werden in die mit Wasser gefüllten Glasschalen geträufelt. Einige pur, andere gemischt. Mit einem weissen Fächer fächelt man sie auf, seiner Nase zu. Raten, was es ist. Der Duft von Orangenblüten? Von Rosen? Jasmin? Lavendel? Da ist er wieder, der Duft von Orangenblüten, von Jasmin, von Rosen, Lavendel, Zitronelle. Düfte und Farben werden bis zur Finissage von den grossen hölzernen Flügeltüren, den weissen Mauern geborgen. Was bleibt, ist die Frage: Was ist eine Farbe? Was ist der Duft? Wirkung und Bedeutung sind unterschiedlich, viel – dimensional, vielleicht nie ganz zu verstehen.
Esther Maria Jenny, Basler Magazin, 2000 (Text) und Hassam Nadim (Fotos)