Ausstellungen «David Bowie in Gugging» und «Die dritte Generation», Kunst aus der Werkstatt der Nervenheilklinik Gugging.
Bis 21. Dezember in der CENTRAL STATION, Sternengasse 19, 1. UG, Basel. Do und Fr 17 – 21h, Sa 11 – 17h.
(11.10.18 ausnahmsweise geschlossen)

BaZ:
Christine de Grancy, 1994 begleiteten Sie David Bowie in die Nervenklinik Maria Gugging bei Wien. Wie haben Sie den Tag in Erinnerung?

Christine De Grancy:
André Heller hat uns zuerst in den Garten der Klinik geführt, der ihm seit Jahren ein vertrauter Ort ist. Dort waren vor allem die kraftvollen, in den Raum greifenden Arbeiten von August Walla zu sehen. Anschliessend gingen wir dann in das «Haus der Künstler», um den Bewohnern der Klinik zu begegnen.

Wussten Sie damals, was in Gugging während der NS-Zeit geschehen war?

Wir wussten, dass schlimme Dinge geschehen waren. Jedoch wurde diese Geschichte erst später und langsam aufgearbeitet. Als ich mich wieder mit dieser fotografischen Arbeit befasste, wurde mir bewusst, dass allein in Gugging Hunderte Menschen umgekommen waren. Ein Ort der Hölle. Die Klinik war Teil der Euthanasie-Behörde T4, direkt der Kanzlei Adolf Hitlers unterstellt. Von dort ging es aus, über das gesamte Deutsche Reich, behinderte Menschen als «lebensunwert» einzustufen und allmählich zu vernichten, weil sie diesem fatalen Weltbild nicht entsprachen. Zynisch eingeübtes Personal wandte dann im Holocaust die unfassbaren Vernichtungsmethoden auf Millionen von Menschen an.

Wie hatte der Psychiater Leo Navratil diesen Ort verändert?

Für uns war in den 70er-, 80er-Jahren wichtig, wie Leo Navratil mit seinen Patienten-Künstlern umging, wie er sie förderte, anregte sich zu entfalten, wie er den Austausch mit hiesigen Künstlern suchte und diese immer wieder nach Gugging kamen, um das wachsende Werk dieser Männer kennenzulernen. Der Seelenarzt achtete auf ihre Würde. Viele von uns konnten die Scham und Schande, die unsere Generation belastete, was Eltern und Grosseltern in der Nazizeit mitgetragen haben, nur schwer verkraften.

Wie reagierte David Bowie auf die Bewohner der Klinik?

Ich war überrascht von der Ernsthaftigkeit, die er an den Tag legte. Er hörte den Bewohnern gut zu, beobachtete sie mit durchdringendem Blick, machte Skizzen und Notizen. Damals hatte ich keine Ahnung, dass sich sein psychisch kranker Halbbruder umgebracht hatte. Er hatte eine tiefe Bindung zu ihm.

Wann erfuhren Sie den Grund des Besuchs Bowies in Gugging?

Nach Bowies Tod, als ich mich wieder mit der fotografischen Arbeit, seinem Besuch am 8. September 1994 in Gugging, auseinandersetzte. Das warf natürlich ein neues Licht auf die Bilder. Dieser neue Einblick in Bowies Leben veränderte die Aussagekraft der Fotografien.

Wie war die Grundstimmung in der Nervenklinik?

Grundsätzlich war es eine schwere, dumpfe Stimmung. Verlorene, einsame Männer, die respektvoll vom pflegenden Personal behandelt wurden. Manchmal gab es eine Aufheiterung durch Situationskomik. Jedoch war es unsagbar traurig zu sehen, was mit Menschen geschieht, die keinen familiären Halt haben, nicht der «Norm» entsprechen.

Wieso waren Sie es, die Bowie in die Nervenklinik Gugging begleiteten?

André Heller bat mich, mit ihnen mitzukommen. Er wusste, wie ich arbeite. Wir sind Freunde seit langer Zeit. Es war ihm wichtig, dass keine Person mitkam, die wirkte wie eine Pressefotografin.

Inwiefern war das wichtig?

Wir schulden diesem Ort, diesen Menschen Achtsamkeit. Bowie wirkte während des ganzen Besuchs gelöst und sehr aufmerksam. Es ist wichtig als Fotografin, ein Gefühl für Nähe und Distanz zu haben. Man muss wissen was man abbilden will, ohne die Aura der abgelichteten Menschen zu verletzen.

Ist das der Schlüssel zur Kunst des Fotografierens?

Es ist eine Fähigkeit, die man haben sollte, um in der Lage zu sein, die feinen Zwischentöne einer Begegnung einzufangen. Heute ist in der Fotografie vieles sehr schrill. Sie spiegelt unser immer lauter werdendes Leben.

Was versuchten Sie, bei dem Besuch einzufangen?

Mir ist immer wichtig, die herrschende Stimmung authentisch abzubilden. Ich denke in meiner Arbeit szenisch, schaue mir den Ort an, versuche zu spüren, was in der Zeit des Zusammenseins mit Menschen erfasst werden kann. Beobachte, wie alles zueinander wirkt. Mit unseren bildnerischen Mitteln erzählen, ohne plakativ zu sein, ist immer eine Gratwanderung. Besonders an so einem Ort.

Wieso dauerte es so viele Jahre, bevor Sie die Bilder veröffentlichten?

Ich hatte die Bilder eine lange Zeit beinahe vergessen. Es war keine Auftragsarbeit im üblichen Sinn, und in den Jahren danach bereiste ich die Welt und fotografierte viele verschiedene Orte und Menschen. Durch David Bowies Tod vor zwei Jahren bekamen die Bilder eine ganz neue Bedeutung. Und auch durch das gewachsene Wissen um die Ungeheuerlichkeiten des Euthanasie-Konzeptes der Nationalsozialisten.

Was zeigt Ihre Ausstellung?

Es geht um mehr als um einen Weltstar, der die Art brut schätzte – und auch um mehr als die Wertsteigerung von Bildern. Es geht um diese Männer, diese Künstler, denen das Leben und die Gesellschaft Verletzungen angetan hat, die dann aber durch einen anderen Geist aufgefangen und eben nicht vernichtet wurden. Heute staunen wir über die Kraft und Eigenwilligkeit, die in diesen Bildern zum Ausdruck kommen. Sie sind anerkannte Künstler geworden.

Waren Sie überrascht von den Reaktionen auf die Fotografien?

Natürlich wusste ich, wer David Bowie war. Ich wusste nicht, dass er für viele Menschen beinahe ein Gott war. Mich hatte damals einfach die Gesamtsituation interessiert. Als er die Nervenklinik besuchte, war der Star nicht vor Ort. Es war nur er selber, ganz zurückgenommen, denn den Bewohnern der Klinik bedeutete die Kultfigur Bowie nichts. Vielleicht haben solche Momente für Menschen, die so im Rampenlicht stehen, sogar etwas Heilsames.

Haben Sie die Nervenklinik Gugging seither besucht?

Das dort entstandene Museum habe ich noch nicht besucht. Ich war in ganz andere Welten geraten. Themen die mich sehr forderten. Ich hoffe aber, das Museum Gugging in absehbarer Zeit besuchen zu können.

von Clara Vuille-dit-Bille, BaZ Kultur, 4.10.18

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