Es klingt wie ein Märchen, aber anscheinend
gibt es in Basel einen Mann, der
beschenkt seine Stadt mit Kunstereignissen;
das heisst: Er hat eine Idee,
weiss einen Ort, kennt einen Künstler
(oder mehrere), der (die) dort etwas machen
kann (können), oder er will jetzt eine lange
erträumte Sache endlich realisieren. Er bettelt
also die notwendigen Summen, auch das Honorar
für die eigene Tätigkeit zusammen und
schon kann das EREIGNIS, um nicht zu
sagen das EVENT, an die Öffentlichkeit. Der
Mann selber spricht lieber von einer temporären
INTERVENTION, für die Wahrigs
Deutsches Wörterbuch (respektive die Abteilung
für «Fremdwörter») als Übersetzung
«Dazwischentreten, Einmischung, Eingreifen,
Vermittlung» bereithält. In Basel kennt ihn
jeder, und selbst, wer den Namen dieses Klaus
Littmann auf Anhieb nicht zu nennen weiss,
ist schon mal auf eine seiner Einmischungen
gestossen. Zuletzt umbaute der Japaner Tazro
Niscino für «Littmann Kulturprojekte» die
Wetterfahne über dem Chordach des Münsters
mit einem vorläufigen Zuhause. Basel erinnert
sich, nicht nur die 30 000, die sich auf den Angst
machenden Weg gut 37 Meter über der Erde
gemacht haben, um an der Installation «engel»
teilzuhaben.
Der Aussenstehende sucht sich zuerst die
Fakten zusammen. Klaus Littmann (*1951 in
Lörrach), aufgewachsen in Riehen, nach dem
hart errungenen Abitur einige Zeit in Israel,
dann ein Jahr Kunstgewerbeschule in Basel. An
der Düsseldorfer Kunstakademie ist er von
etwa 1970 bis 1976. Ein zweieinhalbstündiges
Gespräch mit Joseph Beuys macht ihn zu
dessen Schüler. Nach der Sekretariatsbesetzung
am 10. Oktober 1972 (Littmann ist dabei), die
Beuys die Professur kostet, ist er bei Erwin
Heerich und wenig später gar «Meisterschüler
» bei Rolf Sackenheim. Ein tachistischer
Grafiker ist aus ihm nicht geworden, stattdessen
macht er 1982 in Basel nach einigen Jahren
als Dozent an der Schule für Gestaltung eine
Galerie auf. Damit beginnt auch schon die
Geschichte seiner «Interventionen». Littmann
übernimmt die Räume der legendären Galerie
von Felix Handschin. Obwohl ihm nach
und nach dessen Künstler (z. B. Jean Tinguely,
Dieter Roth oder André Tomkins)
wieder zulaufen, versteht er sich nicht als
dessen Nachfolger, vielmehr demonstriert er
gleich in der ersten Ausstellung, dass er ein
«anderer» Galerist ist. «Fussball in der Vitrine»
ist eine Hommage an das runde Ding, dem
nicht nur 22 erwachsene Männer 90 Minuten
lang hinterherlaufen, sondern auch eine unüberschaubare
Masse atemlos hinterhersieht.
GALERIST, GESCHÄFTSMANN, HÄNDLER
ODER VERMITTLER
Alltagskultur heisst das Stichwort, das sich
neben die eigentlichen Kunstanliegen schiebt.
Ganz abgesehen davon, dass die Kunst im Rahmen
einer Intervention in den Alltag eintritt. So
etwas wie ein Kurator oder erster Berater ist
Werner Jehle, der bis zu seinem Tod viele
dieser Ausstellungen für Littmann betreut. Mit
diesen Verlautbarungen, die zudem von fingerdicken
Katalogen begleitet werden, kann man
als Galerist nicht reich werden. Einmal im Jahr
soll so eine thematische Ausstellung oder etwas
Ähnliches das Galerieprofil prägen. Die Eröff-
nungen sind gesellschaftliche Ereignisse in Basel.
Man spricht heute noch darüber, Littmann
selbst schwärmt vor allen Dingen von Aktionen,
Installationen und Ereignissen, die den
Laden auf den Kopf stellen. Jim Whitings
Maschinentheater «Unnatural Bodies» 1988
oder im gleichen Jahr Guillaume Bijls
«Neuer Supermarkt». In der alten StückfaÅNrberei
wird ab 1989 eine gross angelegte Kunsterweiterung
(= Stücki) initiiert. Die Liste dieser
frühen Interventionen ist lang. Solche Projekte
entmündigen den Galeristen temporär, dem
Geschäftsmann sind partiell die Hände gebunden.
Er begibt sich auf Sponsorensuche, er
reicht seine Ideen weiter, der «Kunstzug» fährt
nicht nur durch die Schweiz, und irgendwann
muss er sich entscheiden, ob er primär Händler
oder Vermittler sein will. «Felix Handschin»,
sagt Littmann, «hat dreimal Konkurs gemacht.»
Und Littmann, ergänzt der Aussenstehende,
hat einmal Pleite gemacht. 1995/96 kommt der
Crash. Ceterum censeo vieler Resümees von
Klaus Littmann ist die Feststellung, dass die
«Galerie als Institution ausgedient» habe. Vor
dem (notwendigen) Scheitern der Firma mag
das doppeldeutig sein, doch die Erfahrung
bleibt umso elementarer. Aus der «Galerie»
werden die «Littmann Kulturprojekte».
IM DRAHTSEILAKT ZWISCHEN TRIUMPH
UND KATASTROPHE
Das «Kapital» des leidenschaftlichen «Interventionators
» ist ein Wissen, das im Drahtseilakt
zwischen Triumph und Katastrophe erworben
wird. Er weiss, was funktioniert, denn die
unmittelbare Wirkung ist bei einer Aktion, die
nur wenige Tage dauert, umso wichtiger. Dafür
braucht man eine gute Nase und ein Netz
zuverlässiger Freunde und Feinde. In bestimmten
(Basler) Kreisen ist er bekannt wie ein bunter
Hund, so dass immer mal wieder Leute und
Firmen an ihn herantreten und was von ihm
wollen. Die Robert Lottner AG wird 100,
für das Geschäft mit dem alten Papier weiss
Littmann nur einen: «César», der vor den
Türen der 1996er Messe 720 Tonnen Zeitungen
aufstellen lässt, in fünf mächtigen Kuben bzw.
Kompressionen à 5X6X7 m. «Un mois de lecture
des Bâlois.» Eine Baufirma hat ein anderes
Jubiläum, Littmann ersinnt dafür im 2000 seine
«Backstein-Intervention», und da das, also die
vorläufigen Backsteinskulpturen im Basler
Stadtbild, von einer Reihe höchst prominenter
Bildhauer, da das dem ursprünglichen Ideengeber
dann doch zu teuer wird, organisiert der
Eingreifende gleich die anderen Geldquellen,
ganz abgesehen davon, dass die Stadt immer
wieder aufs Neue überredet werden muss. Dass
man mit Backsteinen, die eine Ewigkeit halten
sollen, nur für den Augenblick baut, ist eigentlich
absurd. Vielleicht untergräbt der Interventionator
damit gelegentlich die Botschaft seiner
Auftraggeber, ganz abgesehen davon, dass alle
Ähnlichkeiten mit «Kunst im öffentlichen
Raum» ausgeschlossen sind; obwohl das natürlich
(die Dialektik ist durchaus anregend)
«Kunst im öffentlichen Raum», gelegentlich
auch «Kunst am Bau» ist – aber nur vorübergehend.
Dafür braucht man nimmermüden
Enthusiasmus. Littmann, heute ein gut aussehender
Mann Anfang 50, hat darüber hinaus
den Charme eines grossen Jungen. Der Mann
ist ein Träumer! Sponsoren und Künstler werden
anscheinend im Angesicht seiner Begeisterungsfähigkeit
schnell weich. Und Littmann
bettelt nicht einfach drauflos, er sucht beim
inaugurierten Geldgeber von Anfang an schon
den potenziellen Verbündeten.
Einem, der von der universitären Kunstgeschichte
kommt, seinen Weg als Wissenschaftler,
Organisator und Kurator über Volontariate
und Museumsstellen macht, sind solche Erfahrungen
weitgehend verschlossen. Der akademisch
gewachsene Vermittler hat in der Regel
mehr Skrupel und gut fundierte Vorbehalte,
während andernorts auch mal drei gerade sein
müssen. Der Museumsmann kann selten ohne
sein «Haus», seinen Apparat und Bestand sein,
der ihm zuliefert und ihn lehrt, langsam und
gediegen zu arbeiten, begleitet und behindert
durch eine übermaÅNchtige Kameralistik. Dass
seit einiger Zeit auch die Ausstellungen öffentlicher
Institutionen nach Besucherzahlen vermessen
werden und so gesehen auch am
«Markt» scheitern können, hat den Abstand zu
den anderen Vermittlern nur ein wenig verkleinert.
Vielleicht fehlt Littmann gelegentlich so
ein Apparat, oder wenigstens ein kleines Stück
davon. Seine Kulturprojekte sind das Produkt
einer «Ein-Mann-Firma», die für ihre Projekte
Kräfte engagiert; zum Beispiel für «Tatort
Stadion» (ab Januar in Basel), wenn man so will
anderneine
Soziologie in der Nachfolge von «Der
Fussball in der Vitrine», sind das vier Leute,
zwei Soziologen und zwei Journalisten. Auch
das Sekretariat ist nur «temporär». Auf ewig
lächelnde, ahnungslose Pressenixen ist er nicht
angewiesen. Im Gegensatz zu vielen hochglanzpolierten
Kunst-Consulting-Agenturen
heisst hier die Devise womöglich: «Von der
Hand in den Mund!» Vielleicht knirscht es
manchmal auch im finanziellen Rahmenbau.
Dafür ist der Mann beweglich. Das Projekt auf
dem Münsterdach etwa; «engel» hatte eine vollständige
Vorlaufzeit von insgesamt fünf Monaten.
Im Mai 2002 entdeckt Littmann für sich
Tazro Niscino, nimmt sofort mit dem japanischen
Künstler, der in Köln lebt, Kontakt auf.
Er lockt den Vielbeschäftigten vom 16. bis zum
20. Juli nach Basel, und Niscino zieht drei Ideen
in Erwägung, von denen der (vergessene)
Münsterengel, seine liebste ist. Selbst Littmann
zweifelt, ob das geht, aber innerhalb von zehn
Tagen, also bis Ende Juli, ist nicht nur der
Münsterpfarrer und die Bauhütte überzeugt
(das dauert eigentlich nur einen Tag), sondern
auch der technisch-finanzielle Rahmen erstellt,
vom Gerüstbauer über den Dachdecker, den
Hydraulikkran bis hin zum täglichen Wachdienst
für eine Begehung, die den Besucher
nichts kosten soll. Für das Honorar für den
Künstler, den Kunstvermittler eingeschlossen,
waren in kürzester Zeit noch etwa
300 000 Franken aufzutreiben. Neben einem
wohlhabenden Ehepaar, das ungenannt sein
will, steigen 16 Sponsoren mit in das Boot. Für
die noch folgende Katalogdokumentation wird
eine neue Kalkulation erstellt werden.
Sprechen wir ruhig vom «Modellfall Littmann
», der in Basel viel bewegt, aber anderneine
orts kaum bekannt ist. Sicher, hinter vorgehaltener
Hand fällt auch in anderen Kunstmetropolen
schon mal der Name, aber der Mann, sein
«Modell», macht anscheinend keine Schule.
«Ich bin eine Einzelmaske», sagt er von sich,
«eine Einzelfirma.» Der Aussenstehende
bemüht zum Vergleich andere Kommunikationsgenies,
die realisieren, was sie erträumen.
Jean-Christophe Ammann mag einem in
den Sinn kommen, doch Leute wie er haben
primär für die eigene Institution gearbeitet, und
das ist ja auch vollkommen korrekt. Harald
Szeemann wird mit Vorsicht in Erwägung
gezogen, doch der ist hier wirklich eine Nummer
zu gross, ist auch bei aller Genialität wieder
ganz anders institutionell vernetzt.
Gesucht ist für den Vergleich eine Figur, die
allein für sich und doch für alle anderen Kunstinteressierten
kämpft, ein Seiteneinsteiger zwischen
den Stühlen, der mit ganz wenigen (oft
nur temporären) Mitstreitern dazwischentritt
und für die Kunst im öffentlichen Raum streitet.
Und zwar erfrischend anders als die anderen
es tun. Vielleicht gibt es den irgendwo, und
vielleicht sagt er sich: Schade, dass keiner von
mir weiss.

REINHARD ERMEN lebt als Kunstkritiker und
Musikredakteur in Stuttgart

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