Herr Littmann, Sie stellen Bäume im Wörtherseestadion auf. Ist das schon Kunst?
Littmann: Ja, es ist ein Kunstprojekt. Die Kunst hat auch die Aufgabe, mit dem Finger darauf zu zeigen, was wirklich Thema ist. Das ist meine Motivation.
Und welches Thema steckt dahinter?
Littmann: Lassen Sie mich erklären, wie es dazu gekommen ist. Das Ganze geht zurück auf eine Zeichnung von Max Peintner aus dem Jahr 1970 mit dem Titel „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“. Als ich das Bild 1988 gesehen habe, wollte ich es haben und real werden lassen. Ich war fasziniert, dass bereits 1970 ein Mann auf die Idee kommt, dass eines Tages Natur in solchen Stadien ausgestellt wird, weil wir sie sonst nicht mehr erleben. Also dass das, was wir im Zoo mit Tieren machen, eines Tages mit Bäumen passiert. Das war für mich ausschlaggebend. Ich wollte daher dieses extreme Bild realisieren, damit man noch deutlicher wahrnimmt, was eigentlich passiert.
Das Thema ist also Umweltschutz?
Littmann: Dieses Projekt musste vielleicht 30 Jahre warten. Denn jetzt hat es eine Tagesaktualität, die viel immenser ist als damals. Wenn wir über Klimawandel gesprochen haben, dann war das irgendwo im Amazonas, aber nie vor der eigenen Haustür. Jetzt ist das auch hier in Kärnten angekommen. Die Wälder trocknen aus, und auf der anderen Seite gibt es Hochwasser und Vermurungen.
Die Bevölkerung Klagenfurts steht dem Projekt immer noch skeptisch gegenüber. Wollen Sie mit den Bäumen im Stadion bewusst provozieren?
Littmann: Natürlich ist es ein Statement. In dem Moment, in dem Sie in den öffentlichen Raum gehen, müssen Sie mit Kritik und Gegnern rechnen. Da muss man sich auch selbst ständig hinterfragen.
Hinterfragen Sie auch, welchen tieferen Sinn dieses Projekt in einem Land hat, in dem so viel Wald wächst? Rund um das Stadion steht ja kein Industriegürtel wie auf dem Bild, sondern ein Baum neben dem anderen …
Littmann: Dass das Projekt in einem Land umgesetzt wird, das einen hohen Prozentsatz an Waldfläche hat, heißt ja nicht, dass es hier keine Probleme gibt. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil! Es kommen ganz neue Aspekte dazu. In all meinen Projekten ist das zentrale Thema die Wahrnehmung. Was machen wir jetzt? Wir nehmen quasi ein Stück Wald und stellen es in ein neues Umfeld. Wir isolieren es auch durch die Kraterarchitektur des Stadions. Wir haben bestimmte Sehgewohnheiten und nehmen manches einfach nicht mehr wahr. Aber wenn Sie etwas in einen anderen Kontext stellen, löst das etwas aus. Es verändert den Blickwinkel. Das verstärkt sich, wenn Sie dann durch die Zuschauerränge gehen.
Die Bäume werden nach Klagenfurt importiert. Haben Sie hier keine passenden Bäume gefunden?
Littmann: Schauen Sie sich um: Was hier wächst, sind in erster Linie Fichten-Monokulturen. Für mich ist das Thema Mischwald besonders wichtig. Da ist es ein Glück, dass der berühmteste Landschaftsarchitekt der Gegenwart, Enzo Enea, mitmacht. Er stellt für uns die Bäume zusammen, sodass es wirklich ein authentischer Mischwald ist. Da kann man nicht einfach das nehmen, was gerade besonders günstig am nächsten Markt zu haben ist. Es soll das Musterstück des klassischen Mischwaldes sein, wie er hier eigentlich schon „ausgestorben“ ist. Ich erwarte mir auch eine Vorbildwirkung für die künftige Waldgestaltung.
Sie leben in Basel. Wie sind Sie auf Klagenfurt gekommen?
Littmann: Dass ich in Klagenfurt bin, ist reiner Zufall. Ich habe durch einen jungen amerikanischen Künstler davon erfahren, der in Klagenfurt für die Lendhauer etwas gemacht hat. Ich sah nach fast 30 Jahren die Chance, ein Stadion für dieses Projekt zu nutzen. Ich bin dann schnell nach Klagenfurt gekommen. Aber man hat mich gar nicht erst ins Stadion gelassen. Es dauerte Jahre, bis wir ein paar Schritte weiterkamen. Schließlich traf ich die Bürgermeisterin, die von dem Projekt sehr angetan war.
Sie können Ihr Projekt nun verwirklichen. Was hat die Bevölkerung davon?
Littmann: Rundherum wird unglaublich viel passieren. Klagenfurt hat Ressourcen, die vielen Bewohnern gar nicht bewusst sind. So gibt es mit der Stadtgalerie, dem MMKK, dem Musilhaus, dem Haus der Architektur, mit dem Wulfenia-Kino, mit dem Klagenfurter Ensemble und dem Stadttheater Kooperationen. Ich hoffe, dass damit das Projekt auch in der Bevölkerung stärker angenommen wird.
Und im Stadion selbst?
Littmann: Das Stadion wird jeden Tag von 10 bis 22 Uhr geöffnet sein. Der Herbst ist die Jahreszeit, wo es auch durch den Farbenwechsel besonders attraktiv ist. Am Ende werden die Blätter fallen. Der kunstaffine Mensch sieht darin eine Skulptur oder Installation. Für einen anderen hat es einen Symbolcharakter – der Baum als Sinnbild für das Leben. Für wieder einen anderen kann es ein Mahnmal sein. Glauben Sie mir, das wird ein Selbstläufer.
Was passiert mit den Bäumen?
Littmann: Der Wald kommt voraussichtlich in den Lakeside-Park. In einem kleinen Pavillon aus Holz wird die Geschichte des Projektes erzählt und die Thematik weitergeführt. Der Wald entwickelt sich dann jenseits des Kunstprojektes weiter.
Das Projekt soll eine Million Euro kosten. Woher kommt das Geld?
Littmann: Wir erwirtschaften einen Teil mit Baumpatenschaften. Für 5000 Euro bekommt man ein „Unikat in Serie“. Das ist eine schöne Grafik von der Zeichnung, die ich einzeln koloriere. Die zweite Säule sind Sponsoren, die uns mit Sachleistungen unterstützen. Drittens konnten wir Mäzene vor allem aus der Schweiz gewinnen.
9.5.2019 “DER SONNTAG” / Gerald Heschl