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Basel. Wer in Basel wohnt, wer Basel besucht, wird alle paar Jahre oder Monate an ausgewählten Orten überraschende Kunstwerke antreffen: Fassaden erhalten raffinierte Farbabfolgen, eine Gasse verändert durch hohe Tücher die gewohnte Proportion, Lastwagen fahren mit aufrüttelnden Bildern von Basel durch Europa. Im Fachjargon nennt man dies «künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum». Erfinder, Initiator und Realisator ist Klaus Littmann. Vor Jahrzehnten organisierte er als Galerist in Basel zahlreiche Ausstellungen. Heute arbeitet er mit Künstlern fernab vom marktorientierten Kunstbetrieb. Wer ist der Mann, der bei wechselnden Tätigkeitsfeldern sich treu bleibt im Wunsch und in der Überzeugung, mit Kunst eingeschliffene Seh- und Denkmuster zu verändern?

Mit Fragen und Notizblock besuchen wir Klaus Littmann. Das Atelier ist riesig und hell. Bücher, Papierstösse, Ordner, Materialmuster, Modelle deuten auf mannigfaltige Aufgaben. An den Wänden Zeichnungen und – etwas abseits – nach Gruppen geordnete Fotografien von Orten, Plätzen, Objekten: rätselhaft. Wir werden nachfragen.

Wir wissen: Man kann nicht mit Klaus Littmann durch eine Strasse gehen, ohne dass ihm nicht irgend etwas auffällt, einfällt: eine Beschriftung, ein Lichtspiel, ein kleiner Laden. Ein Beispiel: In China hat er 1995 die Fahr­räder gesehen, auf denen Lasten und Güter transportiert werden. Bei jedem Gefährt tauchten Assoziationen an Künstlerfreunde auf. Daraus ist die Ausstellung «Chinetik – das chinesische Tricycle zwischen Alltags-Ethnologie und Kunstintervention» im Museum Tinguely entstanden. Sie ist ein Beispiel für Littmanns Seh- und Arbeitsweise: Beobachtungen, die später zu Kunst­interventionen im öffentlichen Raum führen.

Wie nennt sich ein Mann, der Alltagsdinge als etwas Besonderes erfasst, sie heraushebt und sie einer ungewohnten Wahrnehmung zuführt? Kurator, Kunstintendant, Ausstellungsmacher, Kulturmanager, Galerist – oder? Littmann denkt nach, findet keine Berufsbezeichnung: Eher so etwas wie Überzeugungsarbeiter, oder Mitstreiter von Künstlern. «Am schönsten war für mich das Kompliment von Jean Tinguely: «Du bist einer von uns.»

Die Vorbilder: Eltern und Hutter
Wie kam Klaus Littmann zu seinem speziellen Kunstverstehen? Wurde es ihm in die Wiege gelegt? Nicht eigentlich, aber es gab Vorbilder. Er erzählt, als wärs gestern gewesen: «Der Vater war ein linker Journalist. Er setzte sich für Minderheiten ein. Das öffnete mir die Augen für alles, was ausserhalb liegt. Der Kulturschub kam von meiner ­Mutter. Grazita Hettinger kam aus gross­bürgerlichem Basler Haus, wurde Schauspielerin, spielte noch unter Gründgens in Berlin. Sie nahm mich früh mit ins Theater, in Konzerte. Sie und ihre Schwester, eine Pianistin, spielten zu Hause täglich Klavier. Sie förderte mich, ohne dass ich es merkte. Heimlich besprach sich Mama mit ­meinen Lehrern, ich sollte nicht untergehen. Unvergesslich sind mir die sonntäglichen Mittagessen bei der Grossmutter: unablässig heftige Diskussionen über Kunst und Politik, Streitgespräche bis in den Abend hinein. Was habe ich als Bub verstanden? Jedenfalls blieb ich sitzen im rauchigen ‹Salon› der ‹Grossen›, fasziniert von einer Atmosphäre leidenschaftlich engagierter Kultur. Die ich heute so sehr vermisse…»

Was tut ein junger Mann, der mit so speziellen Menschen aufgewachsen ist?

«In der Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für Gestaltung) in Basel war es ein Lehrer, der mir die Initialzündung gab: Joos Hutter lehrte uns das Staunen, die Begeisterung. Er lehrte uns den Sinn für Materialien, für die Erfahrung von Körpern, er hat mich regelrecht infiziert. 1969 ging er mit uns in die Kunsthalle Basel, in die Retrospektive von Kurt Schwitters. Ich weiss noch, wie er mich am Oberarm packte, meine Nase auf die Objekte drückte: ‹Schau, was der alles macht mit ganz gewöhn­lichen Dingen.› Mit meinem kleinen ­Taschengeld kaufte ich den ersten Katalog, las Namen wie Hülsenbeck, suchte weiter, entdeckte Typografie, Sprache, Grafik, das fabelhafte installative und literarische Werk von Schwitters, die Ursonate.»

Kurt Schwitters ist für Klaus Littmann einer der wichtigsten Künstler geblieben, ein Schlüssel zu seinem Arbeiten bis heute: «Der ist so breit angelegt, das hat mich umgehauen. Alles kommt aus dem Leben: Humor, Freude, Witz, Leidenschaft, Trauer. Alle Künstler, mit denen ich zu tun habe, sind irgendwie verschwittert.»

So weit war Klaus Littmann aber noch nicht. Es folgten Jahre in Düsseldorf, er wurde Schüler von Joseph Beuys, nahm seine Idee der «sozialen Skulptur» in seinen Rucksack. 1972 gewann er ein dreimonatiges Stipendium in New York, ging in der Stadt herum (wie er es auch heute tut), wusste nicht, was er hier sollte. Da sah er erstmals Graffiti, der Funke sprang über, er fotografierte. Die daraus entstandene grafische Arbeit machte ihn in Düsseldorf zum Meisterschüler.

Wieder in Basel, holte ihn Niklaus Morgenthaler, der damalige Direktor der Kunstgewerbeschule Basel, als Lehrer in seine Schule. Littmann unterrichtete «Farbe + Form» an der Textilfachklasse. Am Montagmittag ass man traditionell mit den Kollegen in der Kunsthalle. Am Nebentisch sass Felix Handschin, der originelle Galerist von der Bäumleingasse, und wollte wissen, wer der Neue da sei. Es klang aggressiv, aber man kam ins Gespräch. Nach vielen Stunden befand Handschin, der Junge solle ihm in der Galerie helfen, zahlen könne er nichts. Ein Jahr lang lernte Littmann die lichten und dunklen Seiten der Galeriearbeit kennen, dann verabschiedete er sich; zu abenteuerlich war dort das Leben. Als aber Handschin später die Galerie aufgeben musste, bat er ­Littmann, die Räume zu übernehmen: keine Klamotten, nichts anderes an die Bäumleingasse als Kunst. Littmann stieg ein.

Die Galerie: Basel und die Welt
Künstler und Publikum waren misstrauisch. Vor der Gefahr, blosser Nachahmer zu werden, befreite Littmann die Zusammenarbeit mit Werner Jehle in den Jahren 1982 bis 1993. Jehle war Kunsthistoriker und Dozent an der Kunstgewerbeschule Basel und an der ETH Zürich. In seinen Vorlesungen über Film und Alltagskultur erweiterte er die Kunstgeschichte unter dem Stichwort «visuelle Kommunikation». Werner Jehle gehört Littmanns ganze Bewunderung: «Meine zweite wichtigste Ini­tialzündung. Werner konnte über den Isenheimer Altar so seriös schreiben wie über das Sechstagerennen in Zürich. Er lehrte mich, was Alltagskultur ist. Bis heute sind meine Projekte eine Art Hommage an Werner Jehle.»

«Fussball in der Vitrine» hiess 1982 die erste Ausstellung Jehle/Littmann. Die beiden gingen vor wie Ethnologen, die Fussball entdecken, ausgraben, in Teile zerlegen, einen Schuss Dada beigeben. Das Publikum reagierte fasziniert und irritiert. Hier wurde ein Thema aufgegriffen, das eigentlich in ein Gewerbemuseum gehört hätte. (Und der Zorn über die Unfähigkeit der damaligen Gewerbemuseums-Leitung gab denn auch der Idee die Sporen.) Es folgten weitere Ausstellungen, die man heute der soziokulturellen Forschung zurechnen würde, die aber amüsanter und vielschichtiger waren. Immer in Zusammenarbeit mit Werner Jehle wollte man «Themen nicht aus- sondern zur Diskussion stellen». Dazu gehörten Ausstellungen, die bis heute aktuell geblieben sind: «Das Auto in der Vitrine» (mit Leonardo ­Bezzola) galt 1983 dem Leitfossil Auto. «Der Bilderbuchindianer» stellte 1987 die Frage nach dem Kulturverständnis, und «Das Matterhorn – What the matter? Viel.» Er befasste sich 1989 mit dem Entstehen nationaler Wahrzeichen. 1991 die bitteraktuellen «Drogen – Welt in Trance» und im selben Jahr «Schlachtfelder» (mit Christian Vogt).

Zu jedem Thema entstanden feine kenntnisreiche Bücher, augenöffnend, neuartig. Bleibende Beispiele fundierten optischen und geistigen Wissens. (Wir alle, die dabei waren, trauern noch heute um Werner Jehle.)

1986 schloss Littmann die Galerie an der Bäumleingasse und entwickelte seine Tätigkeiten an wechselnden Orten wie an der Elisabethenstrasse oder im St.-Alban-Tal. Es ist fast unmöglich, sich einen Überblick über die facettenreichen Ausstellungstätigkeiten zu machen. Da gibt es Installationen, Interventionen, Themenausstellungen, Fotodokumentationen sowie Einzelausstellungen von schweizerischen und internatio­nalen Künstlerinnen und Künstlern, berühmten, bekannten, unbekannten. Und als Motto «Nicht nur: Künstler, die noch nicht alle kennen, sondern: Künstler, wie man sie noch nicht kennt.» Das heisst: die Arbeiten sind persönlich, originell, auf den Ort hin ausgewählt. Der Bogen reicht von Eva Aeppli zu Bernar Venet, bei den Fotografen von Anna und Johannes Bernhard Blume zu Christian Vogt. Manche der Ausstellungen wanderten weiter in Kunsthallen und Museen der ganzen Welt – eine damals für eine Galerie rare Auszeichnung.

In seiner Neugier ist Littmann öfter der Zeit voraus. 1995 reiste er nach China und zeigte ein Jahr später die in der Schweiz völlig unbekannte zeitgenössische chinesische Ölmalerei, zuerst in seinen Ausstellungsräumen und dann – China überhaupt zum ersten Mal – an der Art 27’96. Kein einziges Bild wurde verkauft. Heute sind die Werke von Yue Minjun und anderen ein Vielfaches wert. Littmann selber kaufte damals auch kein Bild, ihm fehlte das Geld. «China now» wurde dafür in Japan gezeigt – vor dem politischen Hintergrund damals eine kleine Sensation.

Ob die weite Welt, ob Basel intim: Die Sorgfalt bleibt sich gleich. «Le Musée sentimental de Bâle» führte der Stadt 1991 eine Geschichtsausstellung vor Augen, wie sie diese noch nie ge­sehen hatte. Das Raritätenkabinett von über 1000 Objekten sprengte die Grenzen der Galerie und zog ins Museum für Gestaltung. Von Prunkobjekten aus dem Münsterschatz bis zu Alltagsgegenständen und allen Brillen von Karl Jaspers erzählten die Dinge historische, charmante und schreckliche Geschichten. Die mit Daniel Spoerri erarbeitete Ausstellung bleibt in der Erinnerung haften, der Katalog ist eine gesuchte Rarität.

Die Projekte: Gegengeschichten
Zum «Auto in der Vitrine» schrieb Klaus Littmann 1983, es gehe um einen «Kulturbegriff, der über die traditionellen Künste hinausreicht und alle Lebens-Äusserungen einschliesst». 30 Jahre später bleibt er seinem Anliegen treu. Was einst mit Werner Jehle begann, ist heute sichtbar für jeden Bewohner Basels: Seit Jahren erfindet der Einzelkämpfer Littmann immer wieder ein neues Projekt, eine neue Überraschung. Man könnte die Interventionen im ­öffentlichen Raum bezeichnen als «Gegengeschichten» zum Galerie- und Kunsthandelsbetrieb. Kommerziell sind die Projekte nicht ausnutzbar, Verkäufe sind kaum möglich. Und der Ruhm ­ hält sich in Grenzen. Allerdings verlieh ihm der Kanton Basel-Stadt 2002 den Kulturpreis.

Alles beginnt mit einer Idee, so meinten wir. Aber Klaus Littmann berichtigt: Oft ist es der Zufall, mit dem alles beginnt. Das lässt uns an den Philosophen Odo Marquard denken, der überzeugt ist: «Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl.» Es gehöre aber zur «Würde» und zur «Freiheit» des Menschen, zwischen dem «Beliebigzufälligen» und dem «Schicksalszufälligen» zu wählen. In diesem Sinn macht Klaus Littmann den Zufall zu dem ihm Zufallenden und fügt Begeisterung und Überzeugung hinzu. «Über die Umsetzung mache ich mir vorerst glücklicherweise keine Ge­danken.» Und doch – die Realisation folgt immer. Hausfassaden werden bunt, phantasievolle Bauten aus Backstein verwandeln im Jahr 2000 als «Skultur I» elf Plätze in unverwechselbare «Orte», Eisenbahnwaggons werden zu Museen.

Eine Pioniertat war die Einrichtung von «Bimbo Town» in der alten Stückfärberei. Jim Whiting schuf mit seinem Team ein surreales Szenarium, das manche als faszinierende Kunst, andere einfach als attraktiven Nachtclub er­lebten. «Bimbo Town» wurde 1993 zu einem der weltweit besten Clubs erkoren und später dennoch geschlossen. Klaus Littmann hatte ihn als Provisorium konzipiert und dabei sollte es bleiben. Er formuliert, was man als sein Credo bezeichnen könnte: «Es wird viel zu viel für die Ewigkeit gemacht. Wenn eine Sache beschränkt ist, lassen sich die Menschen viel eher darauf ein.»

Das für viele Basler spektakulärste Projekt begann mit einem Zufall, der bei Littmann immer mit Wahrnehmung zu tun hat. In einer 5-Euro-Bücherkiste in Frankfurt fiel ihm ein Buch über Tazro Niscino zu. Begeistert von der Arbeit des japanischen Künstlers (geboren 1960 in Nagoya, Japan), lud er ihn nach Basel ein, wanderte mit ihm einen Tag lang durch die Stadt, um etwas zu finden, das ihn zu einer seiner Installationen anregen würde. Erfolglos. Auch der nächste Tag verlief ohne Resultat. Littmann wollte es nicht glauben: So viele Brunnen, Plätze, Skulpturen hat die Stadt. Er überredete den bereits abreisewilligen Niscino zu einem letzten Rundgang, allein. Plötzlich stand der Künstler in seinem Büro, er habe «es» gefunden: «Ein Mädchen mit Röckchen». Littmann hat keine Ahnung. ­Niscino zeigt eine Ansichtskarte des Münsters. Man eilt los. Littmann begreift: Das «Mädchen mit Röckchen» steht hoch über dem Dach des Chors des Münsters und ist ein Engel als Wetterfahne.

Niscino will für ihn eine Wohn­stube bauen, zu der das Publikum hinaufsteigen kann. Littmann schüttelt den Kopf: Tazro, das wird schwierig sein, wenn nicht unmöglich. Niscino fuhr weg, Littmann blieb, vor sich einen Berg von Schwierigkeiten. Unmöglich, befand er. Aber das Wort hatte er bisher nicht kennen wollen. Also begannen unzählige Unterredungen, Sitzungen, Abklärungen. Der Engel überstrahlte ­alles. Die Münster-Verantwortlichen liessen sich ebenso anstecken wie die Handwerker, die die tollsten Probleme lösten. «engel», wie die Installation schliesslich hiess, wurde 2002 zur vierten temporären Intervention im öffentlichen Raum.

Fünf Wochen residierte das «Mädchen mit Röckchen» in seiner 25 Quadratmeter grossen Wohnstube in luftiger Höhe zwischen Sofa, Bücherwand, Topfpflanzen und Stehlampe. Stehend auf seinem Teetischchen empfing der Engel über 30000 Besucher. Sie assen die Früchte von seinem Teller, legten Münzen und Brieflein hin, bewegten sich voller Ehrfurcht, wollten bei ihm übernachten. Es gab Tränen und den Wunsch, beim Engel zu heiraten.

Was Littmann als wichtig ansieht: dass ein Projekt im Kopf hängen bleibt, das hat sich vielfach erfüllt – und nicht nur im Kopf, sondern in der Seele. ­Gewiss hat das Ungewöhnliche, ja Absurde der Situation einiges dazu beigetragen. Der Aufstieg über eine enge Wendeltreppe und Baugerüste war nicht schwindelfrei, die Ankunft auf der Plattform im leise schwankenden Häuschen ein befreiendes Atemholen. Was geschieht im Menschen beim Zeit- und Distanzsprung auf 37 Metern über dem Erdboden, mit Blick auf Rhein und weiten Himmel in Gegenwart eines ­Engels? Klaus Littmann sagt: «Es ist ein Geheimnis.»

So klug die zeitliche Dauer der Kunstwerke an bestimmten Orten auch sein mag: Will nicht alle Kunst Ewigkeit? Klaus Littmann schenkt seinen Projekten zumindest ein Stücklein Ewigkeit, indem zu jeder «Intervention Kulturbüro Littmann» ein Buch erscheint. Grossformatige Fotografien dokumentieren die Werke, prägnante Texte stellen die Aktionen in aktuelle und kulturhistorische Zusammenhänge. Seit vielen Jahren gibt der Reinhardt Verlag die vorzüglich gedruckten Bände heraus. Verlags-Chef Alfred Rüdisühli sagt dazu: «Weil dieser kulturverrückte und kunstwahnsinnige Klaus Littmann immer wieder fabelhafte Dinge auf die Beine stellt und daraus Bücher macht, die für die Stadt Basel von grosser ­Bedeutung sind, unterstützen wir ihn gern.»

Finanzhilfe als «Mittäterschaft»
Warum nimmt ein Mensch immer wieder Unmögliches auf sich? Wie findet er Geduld für nervtötendes Warten auf Bewilligungen, Antworten, Zusagen, Unterstützungen? Wie gewinnt er Handwerker für technische Husarenstücke, Hausbesitzer für Eingriffe, plagt sich ab mit Geldbeschaffung, beschwichtigt Unzufriedene («das war früher – man lernt dazu»), besucht Künstler auf anstrengenden Reisen, lässt sich hetzen durch Termine?

Klaus Littmann braucht keine lange Überlegung:

«Ich wehre mich dagegen, dass Kunst Lifestyle ist, dass alles Marketing sein soll, alles Konsumgut. Ich wehre mich dagegen nicht nur für mich, sondern für die Kunst. Ich wurde je länger desto öfter mit Künstlern konfrontiert, die an Arbeiten sind, die sich nicht für den Kunstmarkt eignen, die gar nicht darauf ausgerichtet sind. Diese Künstler sind für mich eine Herausforderung, ihre Arbeit mit meinen eigenen Ideen zu verbinden.» Dieses Wechselspiel würde nicht gelingen, wenn nicht immer wieder Menschen da wären, die ihre Finanzhilfe als «Mittäterschaft» sehen: «Ermöglicher aus Überzeugung für die Sache.»

Wer möchte dem Rückzug vom konsumorientierten Kunstbetrieb nicht zustimmen, dieweil Markt und Kapital die Kunst zu verschlingen drohen? Aber ist «Kunst im öffentlichen Raum» die geeignete Strategie?

«Ja», sagt Littmann: «Kunstinterventionen sind wirkungsvolle Agenten im öffentlichen Leben. Wenn Kunst nur begrenzte Zeit an genau gewähltem Ort ist, wenn sie sich nicht aufdrängt, weckt sie Neugier und die Lust auf Auseinandersetzung. Orte, die wir kennen, Dinge, die wir täglich übersehen, werden uns plötzlich mit einer ungewöhnlichen Schärfe und Eindringlichkeit bewusst. Was von meinen Projekten bleiben sollte, ist ein Nachbild, das sich in die Erinnerung einschleicht.»

Beispielhaft gelingt diese spezielle Wahrnehmung des Täglichen im Projekt «Real Fiction Cinema», zusammen mit dem niederländischen Künstler Job Koelewijn. «Real Fiction Cinema» reiste durch die ganze Schweiz und gastierte 2011 in Basel. Die Installation ist einfach, die Wirkung verblüffend. Ein Kinoraum steht im Freien, anstelle des liegenden Rechtecks der Leinwand die Öffnung nach aussen. Und siehe: Die gewohnten Autos, Strassen und Fussgänger werden mithilfe von Filmmusik zum eigenen spannenden Film. «L’imagination au pouvoir».

Im Atelier ist es spät geworden, draussen schneit es. Wir sollten gehen, aber da ist noch die Wand mit den Fotos. Littmanns «Projekt-Küche». Immer sind ein halbes Dutzend Ideen am Köcheln. Einige haben sich zu Projekten herauskristallisiert, andere warten auf kleinem Feuer. Phantasie in Bewegung zwischen Kopf und Form.

Zum Beispiel Singapur, ausführungsreif: auf dem riesigen künstlichen Seebecken werden Bildinseln schwimmen, die beim Blick aus den umliegenden Hochhäusern Anamorphosen-­Bilder freigeben. Für die Ausführung seiner Idee holte Klaus Littmann zwei Künstler: Peter Kogler und Matthew Ngui.

Und Basel? Die Stadt bleibt die Basis. Die freundliche, hie und da skeptische «Zugehörigkeit zu den lebens- und sterbensweltlichen Nahverhältnissen» (Marquard) ist ein Teil von Littmanns Lebens- und Arbeitsweise. Sein nächstes grosses Projekt für Basel wartet servierbereit in der Anrichte. Den genauen Ort verrät Klaus Littmann nicht, aber immerhin so viel:

«Wiederum ein öffentlicher Ort in der Stadt, – wiederum eine temporäre Kulturintervention. «Skultur II» wird dreizehn Jahre nach «Skultur I» den Begriff von Skulpturen im öffentlichen Raum verwandeln und erweitern. Ein öffentlicher Raum auf Zeit, den man hoffentlich reicher verlässt, als man ihn betreten hat.»

Annemarie Monteil und Raphael Suter, Basler Zeitung

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