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Zu Tisch mit -minu: Klaus Littmann

«Das hört wohl erst auf, wenn es mit mir aufhört»

von -minu, Basler Zeitung, 8.6.2018

Wir treffen uns im «Weissen Rauchfangkehrer».

«Ich pendle zurzeit zwischen Wien und Klagenfurt hin und her. Nächstes Jahr im September wird in Österreich das grösste Kunstprojekt im öffentlichen Raum eröffnet, welches je in diesem Land gezeigt wurde.»

Klaus Littmann ist ein «Macher». Er verkauft keine Kunst. ER REALISIERT IDEEN. Das macht ihn wohl einzigartig.

Er ist kein «Ausstellungsmacher». Arbeitet nicht auf Auftrag – und mit vorgegebenem Material. Er setzt seine eigenen Einfälle um – das macht ihn konkurrenzlos. Und zum Künstler. Entsprechend hat Tinguely einmal über ihn gesagt: «Er ist einer von uns!» Ein grosses Kompliment.

«Ich wollte nie einfach nur Kunstwerke an den Mann bringen. Ich wollte ein T h e m a zur Kunst machen, es zu einem Stück öffentlicher Kultur aufbauen …»

Der Vater war Germanist. Schriftsteller. Und berühmter Journalist. Die Gene spielen also mit.

«Ich möchte mit der Kunst einfach auch Geschichten erzählen …»,

sagt Littmann. Und hängt seinen Mantel an den Haken an der Holzwand der Beiz.

Hier in Wien logiert er im Zentrum «fast um die Ecke». Kommt eben von einem Kaffee mit Wolfi Berger. Und hat am Abend vorher Erika Pluhar getroffen:

«Ich habe die Schauspielerin vor einem Jahr für mein Projekt in Klagenfurt begeistern können. Sie ist hier überall geschätzt – öffnet Köpfe und Türen …»

Welche Türen?

«Zu den wichtigen Personen der Kultur, Wirtschaft, Politik … Vor allem der Politik. Hier geht fast alles über die Politik. Das ist anfangs schwierig. Und das Networking dieser Menschen ist grossartig – wenn einer das Vertrauen der Leute hat, wird er parteiübergreifend weitergereicht. Dann geht es einzig und alleine nur noch um die Sache. Ich wünschte mir so etwas auch für die Schweiz.»

Er ist ein Geniesser. Und lässt sich gerne überraschen. Littmann wählt das Wiener «Menu surprise». Im Essen kann ihm keiner so leicht etwas vormachen: Die grossen Köche wie Stucki und Girardet haben für ihn gekocht – aber auch Daniel Spörri hat Littmann bei seiner eigenen Kocherei inspiriert. Und was ist das für ein Projekt, das dich immer nach Klagenfurt und Wien zieht?

«Es heisst ‹For Forest›. Es geht um die ungebrochene Anziehungskraft der Natur. Es begann alles schon 1980 …»

Littmann sah ein Bild von Max Peintner, das ihn faszinierte: ein Stadion voller Leute. Alle bestaunen einen Wald, der auf dem Fussballfeld gepflanzt worden ist …

ER BESUCHTE DEN KÜNSTLER. UND WOLLTE DAS BILD:

«Das war aber schon nach Amerika verkauft. Ich meinte zum Maler: ‹Dann sollten wir es einfach realisieren … Wirklichkeit werden lassen …›»

Peintner klopfte Littmann damals gutväterlich auf die Schultern: «Ja, ja – träumen Sie weiter, junger Mann!»

ABER LITTMANN LÄSST SICH NICHT SO SCHNELL SEINE TRÄUME STEHLEN. Als er bei einem seiner Künstler auf einem Handy das Bild eines riesigen leeren Stadions sah, durchzuckte es ihn:

«Wo ist das?»

Es war das Klagenfurter Fussballstadion, das für die Europameisterschaft gebaut wurde. Und nun überdimensioniert für die Bedürfnisse in der Gegend steht.

«Hier werde ich den Wald installieren»,

sagte Littmann. Meldete sich bei den Stadionverantwortlichen an. Und fand dann verschlossene Tore. Der Abwart bellte: «Wos wollens da rin?»

«Ich plane ein Kulturprojekt …»

«Des brauchen wir net …»

DAS WAR DER ANFANG.

UND AB SEPTEMBER 2019 WIRD EIN WALD ALS SCHAU-OBJEKT IM KLAGENFURTER FUSSBALLSTADION ZWEI MONATE LANG DIE ZUSCHAUER FASZINIEREN!

Der Kellner bringt geröstete Kürbiskerne. Und eine Frittatensuppe.

«Ich mag die simple Küche. Wie immer sind die Zutaten das Wichtigste – guter Tafelspitz, Kren mit Apfel gerapst, eine Brühe, die nicht mit Würfeln gezaubert wurde … Das ist Wien!»

Und Basel? – Dort geboren?

«Ja. Ich war eine Hausgeburt. Das Haus steht immer noch. Gleich nach der Riehener Grenze … Auf deutscher Seite.»

Dein Vater kam nach Basel – und Grazita, eigentlich deine Stiefmutter, hat dich grossgezogen.

«Ja. Nicht nur ihr Name war wunderbar – GRAZITA. Sie tönte immer nach grosser Oper. Auch ihre Schwester Priska, eine Musikerin, lebte mit ihr. Die zwei waren in meiner Jugendzeit die wichtigsten Frauen in meinem Leben. Meine Mutter hat noch unter Gründgens Theater gespielt. Später – sie war eine Hettinger – hat sie das Geschäft der Eltern übernommen. Sie war der musische Typ. Nicht die Geschäftsfrau.»

Nun – du bist ja auch nicht unbedingt der Geschäftstyp. Deine Ausstellungen bringen nur selten Geld. Die Ausgaben sind dennoch da – wie schaffst du das?

«Irgendwie spüren die Menschen die Besessenheit für ein Projekt in mir. Ich begeistere mich. Und kann an nichts anderes mehr denken. Also muss ich die Mittel dafür zusammentrommeln …»

Klinkenputzen? Und das ständig. Ist das nicht mühsam?

«Ja. Und nein. Ich versuche, den Menschen mein Feuer weiterzugeben. Und sie reagieren unterschiedlich. Das ist dann auch wieder spannend. Denn das ‹Klinkenputzen› kann man nicht delegieren. Die Leute müssen das Feuer flackern hören. Wenn ich etwa eine Gruppe durch meine Central-Station-Installation führe, sind die Menschen fasziniert. Das machen meine Geschichten, mit denen ich ihnen die Ausstellung nahebringe. Kunst ist immer mit Geschichten verknüpft. Damit holst du die Menschen ab …»

Du hast eng mit Werner Jehle zusammengearbeitet. Ihr habt viele Ausstellungen mit Themen zur Alltagskultur auf die Beine gestellt. Und seid damit durch die Museen und Kunsthallen der ganzen Welt getingelt – übrigens auch hierher nach Wien …

«Ja – das war 1983 in der Remise.»

In deinen Ausstellungen sind immer Geschichten: Keith Haring mit seiner Installation. Oder die riesigen Ausstellungen in China wie «China now», und «Real Fiction Cinema» – auch heute noch ein Renner.

«Ja – am deutlichsten zeigte sich dies wohl in Daniel Spoerris Ausstellung ‹Le Musée sentimental de Bâle›. Dort haben 1600 verschiedene Basler Objekte eine Anekdote erzählt …»

Er lächelt nun:

«Von Spoerri habe ich viel über ‹Geschichten rüberbringen› gelernt. Wir gingen zum damaligen Direktor des Kunstmuseums. Es war Geelhaar. Und wir wollten, dass er uns Holbeins ‹Leichnam Christi im Grabe› leihen würde. Natürlich winkte er entsetzt ab: ‹Das ist ein Weltklasse-Bild, meine Herren. Davor hat Dostojewski drei Stunden auf einem Stuhl gesessen. Und geheult.›

Spoerri horchte sofort auf: ‹Und wo ist der Stuhl jetzt?› Wir haben den Stuhl dann mit der Geschichte in unserer Ausstellung gezeigt …»

HAT DICH DEIN VATER ZU DEN GESCHICHTEN INSPIRIERT?

«Nein. Er war wohl ein Revoluzzer. Aber auch klarer Realist. Er hat mir beigebracht, dass eine gute Geschichte alleine nicht alles ist. Man muss sie auch verkaufen, verpacken.»

Du bist also in Basel aufgewachsen, hast dann drei verschiedene «Knaben-Institute» abgeklopft und schliesslich die Basler Gewerbeschule besucht:

«Dort hatte ich Jos Hutter als Lehrer. Er hat mich zur Kunst gebracht. Und mir eine neue Welt eröffnet. Ich hatte im entscheidenden Moment immer jemanden zur Seite, der mich auf die richtige Schiene schob: Jos Hutter … Werner Jehle … Felix Handschin … Beuys …Jeannot Tinguely … Und viele andere.»

Hutter hat dir nach dem Abschluss gesagt: «Jetzt nichts wie weg!»

«Ja – er wollte, dass ich Neues, Anderes sehe. Also setzte ich mich in den Zug. Fuhr durch Deutschland. Und klapperte die Kunstschulen ab. In Düsseldorf, als ich da morgens um acht Uhr die Akademie betrat, herrschte noch gähnende Leere. Die Kunst war nicht so früh auf den Beinen. Ein Mann mit Hut erbarmte sich meiner. Ich erzählte ihm mein Anliegen. WIR REDETEN ZWEI STUNDEN ÜBER KUNST. Dann nahm er mich am Arm: ‹Kommen Sie mit!› – er führte mich in ein Zimmer, wo ein paar Studenten vor Skizzen sassen. Und der Mann nickte mir zu: ‹Wenn Sie wollen, können Sie im nächsten Semester in meine Klasse kommen. Ich gebe Ihnen ein Schreiben. Bringen Sie das ins Sekretariat› – er füllte ein Blatt aus. Und setzte seinen Namen darunter: ‹Joseph Beuys›.

In Basel, als Jos Hutter es erfuhr, jagte er durch die ganze Schule – ausser sich vor Freude: ‹Der Littmann ist jetzt beim Beuys!›»

Du kamst dann zurück nach Basel. Wurdest Lehrer an der Gewerbeschule:

«Ja. Obwohl ich nicht dem Bild eines ‹Kunstlehrers› entsprach. Ich fuhr mit einem Cabriolet vor. Trug Anzug und Krawatte – die andern: Velo. Und verfilzte Cordhosen. Die ‹Studis› akzeptierten mich aber auch im Anzug …»

Und dann kam Felix Handschin – der grosse Galerist:

«Er hockte mit ein paar Leuten in der Kunsthalle – ich an einem Nebentisch. Handschin rief schon ziemlich alkoholisiert: ‹Heee du, Schönling! Was willst du bei diesen Arschlöchern? Komm an meinen Tisch …› DAS WAR DANN SCHON SO ETWAS WIE EIN RITTERSCHLAG

Später, als seine Galerie auf der Kippe war, hast du seine Räume übernommen. Er machte ja dann noch am Petersgraben in der Wohnung seiner Tochter weiter …

«Nun, Handschin dachte immer, ich sei reich. Das dachten wohl viele: Auto … Anzug … Krawatte! Ich arbeitete in seinem Laden umsonst. Und lernte viel. ‹Übernimm die Räume – ich will nicht, dass da eine Kleiderboutique reinkommt!›, polterte Handschin. Aber Geld hatte ich keines. Also haben ein paar meiner Freunde den Mietzins für ein Jahr zusammengetragen.»

Das war der Anfang?

«Ja – ziemlich komplex alles! Ich wollte nicht Handschins Handschrift übernehmen. Da hätten alle die Nase gerümpft: ‹Er hat keine eigenen Ideen!› Also machte ich die erste Ausstellung zusammen mit Werner Jehle zum Thema ‹Fussball in der Vitrine›. Sie wurde international ein Erfolg – brachte aber kein Geld!»

Aber sie brachte dir Tinguely …

«Erst später. Anfangs war er sehr reserviert – aber irgendwie neugierig auf mich. Er stellte mir dann Eva Aeppli vor – sie war seine Ex-Frau. Als ich sie in ihrem Haus ausserhalb von Paris besuchte, standen da viele Bilder mit der Malseite zur Wand. Es waren Malereien, die unter die Haut gingen: Eva hatte sich mit dem Holocaust auseinandergesetzt. Und dann ihren Schock auf Anraten von Jeannot in einem verschlossenen Zimmer mit Fingern ohne Pinsel auf Leinwand ‹abgearbeitet›. Ich stellte die Bilder an der Art aus. Und bekam von Tinguely den ersten seiner legendär gezeichneten Briefe. Wir wurden Freunde …»

ER WAR ES AUCH, DER DICH IMMER MAL WIEDER AUS FINANZIELLEN ENGPÄSSEN BEFREIT HAT

«Ja. Ich machte nur selten Verkaufsausstellungen. Und konnte somit nichts verkaufen. Bei meinem ersten Kunstprojekt ‹Fussball› waren die Besucher enttäuscht, dass sie keine Kunst von Fussballspielern erstehen konnten. Also – damit machtest du dir zwar einen Namen. Aber kein Vermögen.

Als ich in meiner Galerie wieder einmal über den vielen Rechnungen brütete, kam Jeannot herein. Übersah alles. Und nickte mir zu: ‹Nimms mit!›.

Wir gingen auf die Post. Er bezahlte den Betrag über 40 000 Franken cash – er trug immer ein grosses Geldbündel mit sich …»

EINMAL WAR ES GANZ KNAPP

«Ja. Er hatte gehört, dass ich wohl schliessen müsste, wenn niemand mir helfen würde. Er rief mich an: ‹Kannst du eine meiner Maschinen verkaufen?!›»

Littmann lacht nun hell auf:

«Eine Maschine von ihm war wie ein Blankocheck. Ich holte sie in Fribourg ab. Brachte sie einem meiner Kunden. Kassierte 200 000 Franken in cash – das war die Bedingung von Jeannot (‹NUR BARZAHLUNG!›). Als ich ihm das Notenbündel überreichte, schnupperte er daran. Und grinste: ‹Geld stinkt nicht!›. Dann spuckte er darauf. Und gab mir die Scheine: ‹So. Und jetzt bezahle deine Schulden!›»

Irgendwie hat dir also immer jemand punkto Geld den Rücken freigehalten: Freunde, Künstler, Mäzene. Das hat dir ermöglicht, «aussergewöhnliche» Ausstellungen zu machen – KEINE BUSINESS-KUNST ZU ZEIGEN. SONDERN THEMEN UND PROJEKTE.

«… und das ist bis heute so geblieben. Ich muss auf Unterstützer zählen können. Natürlich braucht es auch einen Partner, der da mitzieht. Laila ist eine wunderbare Frau. Sie steht fest auf dem Boden. Sie weiss, wie sie mich nehmen muss. Als ich das Kunstprojekt mit dem Engel am Münster resigniert wegen allzu vieler Schwierigkeiten absagen wollte, schaute sie mich lange an: ‹Du gibst auf? Das ist das erste Mal …› Ihre Worte haben mich angestachelt. Und ich habe es durchgezogen.»

Du hast Basel und der ganzen Kunstwelt viele einzigartige Momente geschenkt – darunter auch den unvergesslichen Jim Whiting mit seiner aussergewöhnlichen Show: wieder etwas, das man nicht «kaufen» konnte. Aber die tanzenden, verrückten «Geisterbahn»-Figuren gingen um die ganze Welt. Whitings Bimbo-Town-Installation in der «Stücki» rutschte gar auf Platz 1 der weltbesten Nightclubs im «Rolling Stone»-Magazin.

«Die Sache mit Jim Whiting war aussergewöhnlich. Auch weil ich ihn mit Tinguely zusammenbringen konnte. HIER – das Alpha-Tier der Maschinen-Künstler. DA – der Youngster aus London mit seinen verrückten Figuren. Für seine Show musste ich meine ganze Galerie schwarz streichen lassen und mein Büro in ein Nachbarhaus dislozieren …»

JEANNOT KAM AN DIE VERNISSAGE AN DER ELISABETHENSTRASSE

«Um 18 Uhr sollte alles beginnen. Es war wie der Eintritt in ein Horrorschloss. Jeannot durfte als Erster gehen. Er war aufgeregt wie ein kleiner Bub vor dem Weihnachtszimmer …»

Ich kann mich noch sehr gut an die Situation erinnern: Die Leute standen auf der Strasse, die Galerie gerammelt voll. Und als Tinguely aus der Ausstellung kam, liefen die Kameras heiss.

Littmann lacht jetzt:

«Ja. Und Jeannot brüllte die Journalisten und TV-Crews aus aller Welt an – ‹ihr seid doch Vollidioten und kapiert einfach nichts. Geht mit euren Kameras auf diesen Mann hier. D e r ist genial. Und d a s ist die Kunst von morgen!› Tinguely war immer weit weg von Neid. Er hatte ein grosses Herz – das machte ihn auch zum grossen Künstler!»

Und jetzt? Gibt es eine Schlussphase? Du bist zwar noch immer der schöne, grosse Mann – aber dennoch auf einer Final-Strecke …

Littmann schaut lange über sein Rotweinglas. Und wird leiser:

«Ich habe noch so viel vor – im Oktober werden in Basel Ballons als Planeten am Himmel zu sehen sein. Das Einbeziehen der Menschen und ihrer Umgebung in ein Kulturprojekt – das bin ich. Das hört wohl erst auf, wenn es mit mir aufhört …»

DER KELLNER RÄUMT DEN TELLER AB: «S GIBT PALATSCHINKEN OSS SÜSSSPAIS … MÖGENS DES, DIE CHEFITÄT!»

Ich nicke dem Kellner zu: «Der Herr ist keine ‹Chefität›. Er ist mehr: ein Stück personifizierte Kunst.» Der Kellner knickst. «Habs die Ehre …»

Und ich schüttle den Kopf: «… VERRÜCKTES LEBEN. IMMERHIN WURDE ER MIT DEM BASLER KULTURPREIS AUSGEZEICHNET …»

Klaus Littmann grinst nun:

«Ja. Als Hedi Graber mich anrief und mir die Nachricht durchgab, war ich doch etwas sprachlos. Dann habe ich sie gefragt: ‹Wissen die da, was sie tun …?›»

Was Klaus Littmann mag:
Intelligenz und Grosszügigkeit.

Er hasst:
Dummheit und Geiz.

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